Was ist ein guter Text?

Dieser Artikel erschien am 19. April 2012 auf Seite 15 der Zürcher Wirtschaft (PDF)

Texten ist unser aller Beruf. Wir schreiben E-Mails, Präsentationen, Offerten, Briefe, Broschüren, Internetseiten und Fachartikel für die Zürcher Wirtschaft. Wir tippen und tippen. Und hoffen, dass wir gewinnen: Sympathie und neue Kunden. Also: Wann ist ein Text ein guter Text?

Schreibtalent wird einem in die Wiege gelegt, genau wie blaue Augen oder blonde Haare. Man hat ein Faible für Sprache oder man hat es nicht. Es ist brutal. Aber so ist die Natur. Die einen Babys können zuerst gehen, die anderen zuerst sprechen. Fakt ist: Menschen, die sich mündlich und schriftlich gut ausdrücken können, geniessen viele Vorteile im Leben. Sie werden nicht nur vom Ehepartner eher verstanden, sondern auch von Mitarbeitern, Kunden und Geschäftspartnern. Man hört ihnen gerne zu, wenn sie ihre Geschichten erzählen. Auch wenn sie mit einem Verkaufstermin enden. Es kommt nicht nur darauf an, was man sagt, sondern auch, wie man es sagt. Das weiss jeder, der schon mal drei Jahre verheiratet war.

Texten ist ein Handwerk

Und jetzt kommt die gute Nachricht: Gute Texte schreiben kann jeder. Texten ist ein Handwerk. Man kann es lernen. Nein, man muss es unbedingt sogar. Es gibt wahrscheinlich mehr verhinderte Dichter und Schriftsteller als Leute, die behaupten, sie hätten einfach kein Talent. Das bringt uns zur Kernfrage: Was ist ein guter Text? Und warum ist Schreiben eigentlich so schwierig? Warum fällt uns das Formulieren so schwer? Beginnen wir ganz vorn. Beim ersten Satz. Oder noch besser: vor dem ersten Satz.

Das Schwierigste beim Schreiben ist nicht das Formulieren von klingenden Sätzen, das Finden von passenden Fachwörtern oder das Beherrschen von Satzbau und Interpunktion. Das Schwierigste beim Schreiben ist, zu wissen, was man schreiben will. Es ist wie beim Autofahren: Bevor wir einsteigen, müssen wir wissen, wohin wir wollen. Und dann planen wir eine Route. Die kürzeste, schnellste, schönste, witzigste, herzlichste, persönlichste. Der Weg und das Ziel. Darüber lohnt sich nachzudenken, bevor wir in den Text einstiegen: Was wollen wir mit dem Text beim Leser auslösen? Welche Emotionen? Welche Handlung? Was ist unsere Absicht? Mit welchen Fakten, Argumenten, Geschichten, Anekdoten, Analogien, Versprechen, Witzen, Sprüchen, Zitaten erreichen wir dieses Ziel? Was davon ist für den Empfänger und nicht für den Absender spannend?

Mehrwert statt Wortspiele

Ein Beispiel. Sagen wir das Ziel ist, neue Kunden für unsere Gärtnerei zu gewinnen. Schreiben wir dem Leser, wie schön unsere Gärtnerei ist? Oder wie schön sein Balkon sein könnte? Genau: am besten beides. Zuerst zeigen wir ihm auf, wie schön grün sein kleiner Betonbalkon mitten in der Stadt in diesem Sommer aussehen könnte. Wir wecken in ihm den Wunsch, sich zuhause in einer grünen Oase wohlzufühlen. Dann erzählen wir ihm, wie er sich diesen Wunsch erfüllen kann, wie schön frisch, pflegeleicht und winterhart unsere gentechfreien Pflanzen aus nachhaltiger Produktion sind. Und schliesslich sagen wir ihm, warum er zu uns kommen soll, wie schön gross die Auswahl in unserer Gärtnerei ist. Werbetext-Profis nennen die drei wichtigsten Eckpunkte eines guten Textes: Consumer Benefit, Product Benefit und Reason Why. Auf Deutsch: Kundennutzen, Produktnutzen und Grund für den Kauf.

Ein guter Text zeigt dem Leser auf überraschende Weise einen echten Nutzen auf: «Sie können länger frühstücken und sind früher zum Abendessen zurück. Gibt es ein besseres Familienauto?» So titelte 1988 das Inserat für den Porsche 964. Mit solchen Schlagzeilen gewinnt man nicht nur Kunden, sondern Fans. Und unter uns gesagt: diesen Text hätte jeder Zürcher Garagist schreiben können. Ein einfacher Satz über Frühstück und Abendessen. Und eine simple Frage. Keine Kommas, keine Fremdwörter. Dafür reicht die Grammatik eines Primarschülers. Man muss kein Wortkünstler sein, um gute Texte zu schreiben. Aber man muss zuerst einmal darauf kommen. Man muss Ideen haben.

Inspiration und Transpiration

In guten Texten steckt immer eine gute Idee. Und diese hat man meist nicht in der Dusche oder beim Joggen, das ist eine romantische Erfindung der Werber. Die meisten guten Ideen entstehen nicht durch Inspiration, sondern durch Transpiration. Fleiss und Schweiss. Ideen entwickelt man, indem man nachdenkt, sich intensiv mit dem Problem beschäftigt. So lange, bis man auf etwas kommt, auf das andere nicht kommen. Dann haben wir etwas, das andere überraschend finden, weil sie einfach nicht so lange darüber nachgedacht haben, um darauf zu kommen. Das ist der Trick.

Viele Texte sind schlicht und einfach todlangweilig. Sie enthalten nichts Spannendes, nichts Neues, nichts Nützliches, nichts Interessantes. Sie sind nicht mal unterhaltsam zu lesen. Sie enthalten keine Idee, nur leeres Geschwafel: Heisse Preise für kühle Köpfe. Schon tausend Mal gehört: Ihr Partner für dies und das. Heute ist jede Firma innovativ, hat kompetente Mitarbeiter und bietet attraktive Konditionen. Gähn. Ein guter Text bietet dem Leser einen Mehrwert. Er zeigt ihm etwas Neues, Spannendes, Interessantes oder Unterhaltsames auf.

Und ein guter Text spricht alle Sinne des Lesers an. Bleiben wir beim Autoverkauf. Wir sprechen den Sehsinn an: «Gucken Sie sich diese schnittige Form an.» Das Gehör: «Der Motor schnurrt wie eine junge Katze.» Und das Herz: «Der Wagen hat mich noch nie im Stich gelassen.» So werden unsere E-Mails, Präsentationen, Broschüren, Briefe, Internetseiten und Fachartikel zu einem Erlebnis für alle Sinne. Wie ein gutes Buch.

Schriftsteller Enrique Jardiel Poncela sagte einmal: «Wenn etwas einfach zu lesen ist, war es schwer zu schreiben.» Beim Text muss sicher einer quälen. Der Absender oder Empfänger. Die Frage ist: wen quälen Sie?



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