«Ich wollte mal richtig Taxi»

Eine Protagonistin, die nichts von Kommas hält und eine eigene Sprache mit eigener Grammatik spricht. Ab heute hat sie auch ein eigenes Theaterstück in Zürich.

Vielleicht ist Ihnen beim Bücherlesen schon aufgefallen, dass es zweierlei Varianten gibt, wie Autoren ihre Figuren sprechen lassen. Viele der fiktiven Charaktere drücken sich in der Standardsprache aus. Andere hingegen sprechen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist: umgangssprachlich, im Dialekt und manchmal sogar ungrammatisch. So zum Beispiel Doris, das «kunstseidene Mädchen», die Anfang der 30er-Jahre von der deutschen Autorin Irmgard Keun ins Leben gerufen wurde.

Ungrammatischer Sprachwitz

Doris ist eine junge Frau von 18 Jahren, die anfangs der Geschichte in einer Provinzstadt lebt, als Anwaltssekretärin arbeitet und davon träumt, ein «Glanz» zu werden – so wie Marlene Dietrich und Colleen Moore. Ihre Erlebnisse auf dem Weg dorthin schreibt sie auf – weil sie «ein ungewöhnlicher Mensch» ist und «Grossartiges» in ihr vorgeht. Dabei hat sie ihre ganz eigenen Vorstellungen von «richtigem Deutsch». Kommas verwendet sie aus Prinzip nicht, wenn sie Briefe für den Rechtsanwalt schreibt. Denn sie ist der Meinung, dass «richtige Bildung mit Kommas gar nichts zu tun» hat. Nebst dieser Auffassung hat Doris auch eine Vorliebe für ungrammatische Sätze. Wie «ich wollte mal richtig Taxi», «ich kann Maschine» und «da schneite Berlin», um nur einige Beispiele zu nennen. Trotzdem oder gerade deswegen verfügt Doris über einen grossen Sprachwitz. Ihre Vergleiche beispielsweise sind gleichzeitig höchst ungewöhnlich und doch absolut vorstellbar und treffend. Und wenn sie von ihrem Ex-Liebhaber sagt, dass er «so gesalbt» sprach, «als wenn er eine ganze Dose Niveacreme aufgeleckt hätte», kann man sich ein Schmunzeln kaum verkneifen.

Doris live

Doris gehört eindeutig zu meinen Lieblingsfiguren. Dafür gibt es viele Gründe (die Sie nachvollziehen können werden, falls Sie das Buch gelesen haben), aber einer davon ist ganz klar ihre Sprache. Wenn Doris in der Standardsprache sprechen würde, hätte das Buch eine ganz andere Wirkung – es wäre einfach irgendwie unauthentisch. Die Eigenheiten von Doris’ Ausdrucksweise machen sie zu einer lebendigen Figur. Apropos lebendig: «Das kunstseidene Mädchen» gibt es auch als Theaterstück – diese Woche im Theater Stok in Zürich. Darin blickt Ursula Maria Schmitz als gereifte Doris in ihren Vierzigern auf ihre Jugend zurück. Hervorragend gespielt und daher sehr unterhaltsam und absolut sehenswert! Und wenn Sie Glück haben, spricht Frau Schmitz – eine gebürtige Deutsche – nach der Vorstellung ein paar Worte einwandfreies und akzentloses Schwiizerdütsch mit Ihnen. So gar nicht Standard.

Bild: Ramona Zühlke, www.daskunstseidenemaedchen.com, 08.09.2013

Buchzitate: Irmgard Keun: Das kunstseiden Mädchen. List Taschenbuch, Berlin 2009.



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