Liebe Leser*innen, folks und amig@s – wie gendert man eigentlich international?

Zwischen Genderstern, Gendergap und Binnen-I fragen wir uns: Spielt geschlechtergerechte Sprache anderswo auch so eine grosse Rolle wie im Deutschen? Tut sie. Hier kommt ein Einblick in die internationale Genderdebatte.

Die andauernde Debatte um Sprache und Geschlecht entfachte hierzulande spätestens 2018 ein weiteres Mal. Weil wir mit «divers» die dritte Geschlechtsoption sprachlich abzubilden begannen. Zu Leser/in, LeserIn und Lesenden gesellten sich die Formen Leser*in und Leser_in – wer den grafischen Stern oder die Gap wählt, inkludiert auch Menschen ausserhalb der binären Geschlechterzuordnung. Trotzdem wollte der Rechtschreiberat die beiden Formen bisher nicht ins Regelwerk aufnehmen. Wir wollten wissen: Wie tragen andere Sprachen den Geschlechterkampf aus?

Französisch: Kampf gegen die Sprachwächterin

Wer Französisch in der Schule gelernt hat, kennt die eiserne Regel: Eine Gruppe kann aus 10 oder 10’000 Frauen bestehen. Sobald sich ein einziger Mann dazu gesellt, kommt das männliche Plural-Pronomen ils zum Zug. Ziemlich genderungerecht. Auch bei konjugierten Verben und deklinierten Adjektiven sitzt das Geschlecht bereits in der Endung. Geschlechterfreundlicher wirds bei den sogenannten épicènes, den genderneutralen Berufsbezeichnungen, wie l’architecte, le/la dentiste oder le/la secrétaire. In den letzten Jahren kam auch der Gebrauch von iel oder ille auf – zwei Mischformen von il und elle, was nichtbinären Menschen ein Pronomen gibt. Weitere inklusive Formen am Beispiel von Studierenden: étudiant-e-s, étudiant·e·s, étudiantES und étudiant.e.s. Ob diese Formen einfach lesbar sind? Die Académie Française, Wächterin über die Reinheit der französischen Sprache, findet: auf keinen Fall. Die Debatte läuft. Stand heute ist die écriture inclusive in amtlichen Texten jedenfalls nicht erlaubt.

Englisch: they can gender-neutral

Die englische Sprache hat es relativ einfach: Substantive ohne grammatisches Geschlecht (Genus), keine geschlechtsspezifischen Wortendungen und geschlechtsneutrale Berufsbezeichnungen wie professor, reader oder captain. Spezifische Formen wie stewardess oder policeman wurden schon vor Jahren durch flight attendant und officer abgelöst. Will man das Geschlecht trotzdem betonen, muss ein male oder female vors Wort. Auch für non-binäre Personen gibt es mit they eine Ansprache – das geschlechtsneutrale Pronomen für Gruppen war im Mittelenglischen sogar schon für den Singular gebräuchlich. Ebenso existiert mit Mx eine neutrale Anrede – sie wurde in Neuseeland erstmals eingeführt und steht mittlerweile im Oxford Dictionary. Neuerdings diskutiert man mit ze ein weiteres neutrales Pronomen. Allerdings gibt es auch im Englischen Formen, die ein Geschlecht implizieren, obwohl sie für gemischte Gruppen gebraucht werden. Zum Beispiel das informelle guys. Wer die Form meiden will, macht es Ex-Präsident Barack Obama nach: Er spricht stets von folks.

Spanisch: mit Klammeraffe

Wie das Französische und andere romanische Sprachen unterscheidet das Spanische schon im Artikel, ob etwas weiblich (la) oder männlich (el) ist – ein Neutrum gibt es nicht. Formen wie todos (alle) schliessen mit der maskulinen Endung auch Frauen mit ein. Doch die Debatte um gendergerechte Sprache hat auch Spanien und Südamerika erreicht: Bei weiblichen Berufsbezeichnungen wählen Spanischsprachige mittlerweile vermehrt Formen wie la presidenta oder la jefa (Chefin), anstatt nur den Artikel vor presidente und jefe auszutauschen. Um nichtbinäre Personen einzuschliessen, werden die vereinenden Formen tod@s und todxs langsam geläufig. Ebenso drückt man sich mit der Pluralendung -es gendergerecht aus.

Italienisch: Experimente mit Zeichen und Lauten

Die Debatte um inklusive Sprache ist auch im Italienischen angekommen. Doch die Sprache besitzt ebenfalls kein Neutrum, muss sich beim Artikel für Mann oder Frau entscheiden und die Standard-Mehrzahlform ist männlich. Auch hier wird inzwischen mit Zeichen experimentiert, z. B. mit tutt* statt tutti/e, analog dem Spanischen mit Klammeraffen wie in Benvenut@ sowie einer weiteren spannenden Form mit dem Schwa-Laut: Aus i giocatori (Spieler) wird ə giocatorə (Spieler*innen). Weil sich Folgeadjektive und Verben aber ebenfalls dem Genus anpassen, müsste das Zeichen mehrfach wiederholt werden. Das stört den Lesefluss und ein Text wirkt schnell überfüllt. Ausserdem stellt sich die Frage nach der Aussprache. Vielleicht deswegen haben sich die Formen noch nicht wirklich etabliert.

Schwedisch: vom Kinderbuch in den Alltag

Die Schweden sind bekanntlich in vielen Dingen Vorreiter. So auch in Sachen Geschlechterneutralität: Ein Sprachwissenschaftler warf das genderlose Pronomen hen als Mischung aus han (er) und hon (sie) 1966 erstmals in die Runde. Als 2012 ein Kinderbuch mit non-binären Protagonist*innen erschien, die konsequent mit hen beschrieben werden, kam es spätestens im alltäglichen Sprachgebrauch an. Und steht seit 2015 auch offiziell im Wörterbuch. Übrigens wurde das Kinderbuch ins Deutsche übersetzt – wer sich jetzt fragt, wie: Das Pronomen hen wurde beibehalten, dafür tauchen Wortkonstruktionen wie Mapa oder Pama als Alternative zu Mama und Papa auf. Das Schwedische hat zudem nur zwei grammatische Geschlechter: das Neutrum und das männlich-weibliche Utrum. Letzteres begleitet 75 % aller Substantive – genauer gesagt alles, was lebt: en kvinna (eine Frau) genauso wie en man (ein Mann) oder en häst (ein Pferd).

Russisch: immer her mit der Prezidentka

Im Russischen existieren weibliche Bezeichnungen grundsätzlich nur für Berufe, die früher vor allem Frauen ausübten, zum Beispiel медсестра́ (medsestrá, Krankenschwester) oder учи́тельница (uchítel’nitsa, Lehrerin). Also dachten sich Feministinnen für alle anderen «Feminitive» aus: Sie hängen den Berufsbezeichnungen die Silbe -ka an, die auch sonst gebraucht wird, um Substantive weiblich zu beugen. So wird aus dem Präsidenten kurzerhand die Prezidentka. Weil es keine Artikel gibt, werden im Russischen die drei grammatischen Geschlechter bei allen Wortarten in den Endungen angezeigt. Nichtbinäre Menschen erhalten das sächliche Pronomen оно (es). Weitere genderneutrale Formen existieren jedoch nicht – noch stören sich Gendergegner bereits an den Feminitiven.

Japanisch: die vielen Seiten des Ichs

Im Japanischen spielt das natürliche Geschlecht (Sexus) beim Sprechen eine grosse Rolle: Es gibt eine Frauen- und eine Männersprache, weil beide je nach Alter und Stand unterschiedliche Wörter, Grammatik, Höflichkeitsformen und Betonungen verwenden. Völlig unwichtig ist dafür das grammatische Geschlecht: Die japanische Sprache – wie auch die chinesische oder thailändische – kennt weder Genera noch Artikel. Darum lässt sie sich grundsätzlich nicht gendern. Das Personalpronomen -san wird in Anreden unterschiedslos an alle Personennamen angehängt. Spricht man über jemanden in der dritten Person, sagt man ano hito (あの ひと), schlicht jener Mensch. Will man das Geschlecht der Person betonen, macht man das mit Partikeln: gakusei (学生), ein Student, wird zum danshigakusei (男子学生), dem männlichen Studenten, beziehungsweise zur joshigakusei (女子学生), der Studentin. Auch die fehlende Pluralform ist praktisch, weil Gruppen gemischten Geschlechts so nie zu Stolperfallen werden. Eine weitere Besonderheit: Es gibt zahlreiche Formen für das Pronomen ich – weibliche, männliche, neutrale sowie unterschiedliche Register. Watashi (私) ist die Standardform, alle anderen wählt man je nach Eigenwahrnehmung, Situation und Gegenüber.

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Titelbild via Flickr: Noisebridge Gender Neutral Bathroom – Bowseri (CC by 2.0)


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Ein Kommentar zu “Liebe Leser*innen, folks und amig@s – wie gendert man eigentlich international?”



  • Noah am 2. Januar 2021 18:12 Uhr

    Hey :)
    Eine befreundete Person und ich (beide nichtbinär) haben im letzten Jahr intensiv an der Entwicklung einer geschlechtsneutralen deutschen Grammatik gearbeitet. Unser Ergebnis ist auf folgender Website zu finden: https://geschlechtsneutralesdeutsch.com/


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