Heidi, die Bohrmaschine
Zürich–Lugano einfach, bitte. Am Gotthard wird das Bauwerk einer Generation eröffnet. 57 Kilometer von Erstfeld UR bis Bodio TI frassen sich die Bohrmaschinen Gabi 1 und 2, Sissi und Heidi durch das Gestein – Weltrekord.
Das Schöne für uns: Ab 2020 sind wir in zwei Stunden am Ufer des Lago di Lugano. Und geniessen eine Tessiner Platte. Nur, wie bestelle ich diese denn? Auf Deutsch, Italienisch oder im lokalen Dialekt? Und wie geht der?
Tücc statt tutti – die Tessiner Mundart
Ähnlich wie in der Deutschschweiz gibt es im Tessin verschiedene rein mündliche Dialekte. Diese stammen aus dem Lombardischen und haben mit Italienisch nur wenig gemein. Daneben sind sie aber auch durch grossen Einfluss aus der Nordschweiz und dem französischen Sprachraum geprägt. Oder haben Sie schon mal ein Ö oder Ü in italienischen Texten gesehen? Einige Beispiele:
tücc (TI) – tutti (IT) – alle
inchöö (TI) – oggi (IT) – heute
böcc (TI) – buco (IT) – Loch
cör (TI) – cuore (IT) – Herz
Und wussten Sie, wie man uns Deutschschweizer südlich der Alpen nennt? «Zücchin» (vom Italienischen «zucca» für Kürbis) ist eine Anspielung auf die hartnäckige und unflexible Art der nördlichen Landsleute. Und wohl nicht mehr als fair, um den Militär-Decknamen der «Funghis» zu kontern.
Die Ausdrücke variieren von Tal zu Tal, von Dorf zu Dorf. Und doch verliert die Tessiner Mundart nach und nach an Bedeutung. Aktuell beherrscht noch ca. 1/3 der Bevölkerung einen Dialekt. Die Tessiner Mundart ist vom Aussterben bedroht. Noch zwei bis drei Generationen, dann ist finito.
La lingua ufficiale – das Standarditalienisch
Die offizielle Kommunikation findet in Standarditalienisch statt. Analog der Schriftsprache in der Deutschschweiz: Schriftliches oder auch die mündliche Kommunikation in der Schule werden formal gehalten.
Das Italienische wird aber auch im mündlichen Alltag immer wichtiger. Wo wir Deutschschweizer nur im absoluten Notfall zur Schriftsprache greifen, ist diese im Tessin sehr beliebt. Standarditalienisch gilt als prestigeträchtiger als die Tessiner Dialekte. Und verdrängt diese deshalb mehr und mehr.
Wassermelone oder Gurke? Das «Italiano elvetico»
Die Tessiner orientieren sich also stärker an der Standardsprache. Und doch haben sich auch bei ihnen einige rein helvetische Begriffe eingeschlichen. Italiano elvetico nennt sich das Ganze dann. Sogar in Microsoft Word findet sich mit «Italienisch (Schweiz)» eine passende Sprachoption. So kommt man zum Beispiel mit folgenden Begriffen ungestraft davon:
rolladen (TI) – tapparelle (IT) – Rollladen
azione (TI) – offerta speciale (IT) – Aktion (im Supermarkt)
autopostale (TI) – Postauto (existiert auf Italienisch in diesem Sinne nicht)
Ein Italiener mag sich zwar über die «azione» im Supermarkt in etwa so wundern wie ein Deutscher über das «Trottoir» in Zürich. Zu echten Verständigungsproblemen führt das Italiano elvetico aber selten. Aufgepasst sei nur beim Wort «cocomero»: In Italien eine Wassermelone, beschreibt es im Tessin meist eine Gurke.
Seien Sie also auf der Hut, wenn Sie den Basistunnel zum ersten Mal durchqueren. Gerne können Sie dem Kellner in Lugano also von der eindrücklichen Fahrt durch das neue «böcc» erzählen. In Mailand verstünde man dagegen wohl eher nur «stazione».
Bild: © AlpTransit Gotthard AG