Gretchenfrage

Wenn es brenzlig wird: Fragen Sie Gretchen. Und Ihr Bauchgefühl.

Weshalb wir die Gretchenfrage stellen, wenn es wirklich kritisch wird. Und warum man trotzdem seinen Instinkten folgen soll.

Kürzlich sah ich mich mal wieder mit einer, sagen wir mal, lebensbedrohlichen Wissenslücke konfrontiert. Woher stammt eigentlich der Begriff Gretchenfrage? Wer soll dieses Gretchen sein, das den Finger immer genau auf den wunden Punkt legt?

Gott und die Welt

Genau darum geht es nicht. Belanglosigkeiten haben keinen Platz: Eine Gretchenfrage hat grosses Gewicht. Für den Fragenden und den Befragten. Sie fordert zu einer klaren Entscheidung und einem deutlichen Bekenntnis auf. Sie ist ein dramatischer Höhepunkt. Und betrifft immer ein heikles und/oder peinlich aufgeladenes Thema.

Heute wird der Wortteil «Gretchen-» hauptsächlich als Verstärker eingesetzt. Man könnte also auch einfach «gewichtige Frage» oder «Gewissensfrage» sagen. So weit so klar. Und woher stammt der Begriff?

Des Pudels Kern

Die Gretchenfrage geht auf niemand Geringeren als Johann Wolfgang von Goethe zurück. Genauer gesagt auf sein Werk «Faust I». In Vers 3415 stellt die angebetete Margarete (=Gretchen) Faust die Frage aller Fragen.

«Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?»

Das Setting: Faust hat ein Auge auf Margarete geworfen. Er versucht mit Nachdruck, sich ihr anzunähern. Grete aber ist sehr gläubig. Nie würde sie sich auf jemanden mit gottlosen Motiven einlassen. Irgendwann hält sie es nicht mehr aus; muss einfach wissen, wie es um ihn steht. Und bringt Faust damit in die Bredouille. Kurz zuvor hatte dieser nämlich einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Er hat Gewissensbisse. Weiss nicht, wie er reagieren soll. Und versucht, sich irgendwie aus der Sache rauszureden. Natürlich kauft ihm Grete das nicht ab.

Gretchenfragen unserer Zeit

Goethe selbst hat den Ausdruck übrigens nie verwendet. Er taucht erst ab ca. 1840 in den Quellen auf, über dreissig Jahre nach dem Erscheinen des Werks. Dafür hält sich der Begriff hartnäckig. Auch wenn die brennenden Fragen von heute kaum mehr mit Religion zu tun haben.

Spannende Beispiele liefert die Erfolgsreihe «Die Gewissensfrage» aus dem Magazin der Süddeutschen Zeitung:

  • Sollten auch Menschen Organspenden erhalten, die selbst nicht zum Spenden bereit sind?
  • Sollte man eine Tomatenpflanze nach der Ernte weiterhin pflegen, auch wenn man weiß, dass sie den Winter nicht überleben wird?
  • Darf man beim Gassigehen mit dem Handy telefonieren? Oder sollte man seinem Hund stets die volle Aufmerksamkeit schenken?

Über 600 solcher Gretchenfragen der Leser wurden bisher beantwortet. Die Lektüre ist ein absoluter Genuss.

Happy end?

Auch Goethe wusste übrigens, dass man moralische Prinzipien hochhalten sollte. Wie bei Grete. Schlussendlich liess sie sich trotz aller Zweifel auf Faust ein. Und bezahlte einen hohen Preis dafür. Schade. Wenn Sie also das nächste Mal eine Gretchenfrage stellen: Vertrauen Sie nicht so sehr auf die Antwort. Sondern auf Ihr Bauchgefühl.

Titelbild via Flickr: 2802 – ptwo (CC BY 2.0)



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