Kann man seine Muttersprache verlernen?

Wenn man die Muttersprache länger nicht mehr braucht, hat man allenfalls Schwierigkeiten, sie zu sprechen. Aber kann man sie ganz verlieren?

Laut einem Artikel auf BBC hat Sgt. Bowe Bergdahl Mühe, in seiner Muttersprache zu kommunizieren, obwohl er während 23 Jahren seines Lebens Englisch gesprochen hat. Vor fünf Jahren wurde Bergdahl, der für die USA in Afghanistan kämpfte, von den Taliban entführt, diesen Mai wurde er wieder freigelassen. Allerdings habe Bergdahl seit seiner Freilassung Mühe, Englisch zu sprechen. Ist das möglich?

Dr. Monika Schmid, Linguistikprofessorin an der Universität Essex in Grossbritannien, sagt gemäss BBC, gewisse Menschen könnten für Jahrzehnte ihre Muttersprache vernachlässigen und dann ohne Probleme wieder einsteigen. Bei anderen reichten ein paar Jahre Absenz, um bei einer Reaktivierung ins Schlingern zu geraten.

Mit der Muttersprache in die Pubertät

Allerdings komme es selten vor, dass man die Muttersprache gar nicht mehr beherrscht. Stattdessen finde bei gewissen Menschen eine Art Sprachabbau statt; gemäss Dr. Schmid würden gewisse Wörter nur noch mit Mühe gefunden, merkwürdige Grammatikstrukturen kämen auch vor. Das Alter spiele hierbei eine Rolle: Nach der Pubertät festige sich die Muttersprache normalerweise; wenn die Muttersprache aber nur bis ins Alter von 10 praktiziert wurde, könne es vorkommen, dass man die Sprache nicht einfach so beibehalte, führt Dr. Schmid weiter aus.

Je mehr man in eine andere Sprachwelt eintauche, desto schwieriger werde es, sich an die eigene Muttersprache zu erinnern, führt die Linguistin Dr. Aneta Pavlenko von der Temple University in Philadelphia gegenüber BBC aus, denn die kognitiven Ressourcen seien begrenzt. Als Dr. Pavlenko in ihre russischsprachige Gemeinschaft nach Kiew zurückkehrte, hatte sie vergessen, wie man ein einfaches Gespräch auf der Post beginnt. Und das, obwohl sie an der Universität in Philadelphia Russisch unterrichtet.

Die Entführung durch die Taliban

Gemäss Dr. Schmid sei es bekannt, dass Hirnverletzungen eine Auswirkung auf Sprachverlust haben, jedoch seien emotionale Traumata ebenfalls ein Quell solcher Verluste. Als Beispiel führt Schmid die deutschen Juden auf, die während der Shoah flüchteten und deren Sprachverlust durch das Trauma bestimmt wurde: je schlimmer das Trauma, desto grösser der Sprachverlust. Bei Bergdahl könnte das Trauma der Entführung dazu geführt haben, dass er jetzt Mühe mit seiner Muttersprache hat. Dazu soll er sich bereits vorher mit Paschtu und Dari – den beiden Landessprachen in Afghanistan – befasst haben und ist dann während seiner Zeit in Haft noch tiefer in diese Kultur eingetaucht.

Titelbild via 500px (CC BY-ND 3.0)



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